Man kann das Schloss von Versailles nicht nur besichtigen, sondern dort auch sehr fein speisen. Chefkoch Alain Ducasse, einer der bedeutendsten Botschafter der französischen Gastronomie, betreibt im geschichtsträchtigen Pavillon Dufour ein Restaurant. Es heißt „ore“ - „Mund“ auf Lateinisch. Von der Speisekarte über die Kleidung des Personals bis hin zur Tischdekoration trägt alles dazu bei, ein Abendessen in den Salons des Schlosses von Versailles zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Wir sprachen mit Küchenchef Stéphane Duchiron.
Warum hat Alain Ducasse im Schloss von Versailles ein Restaurant eröffnet? Inwiefern lassen Sie sich von dem Bauwerk, seiner Geschichte und ihren Protagonisten inspirieren?
An diesem einzigartigen Ort bieten wir den Besuchern tagsüber Klassiker der französischen Küche, aber auch leichte Gerichte für den kleinen Hunger und feinen Kuchen an. Abends, wenn das Schloss für Besucher geschlossen ist, kann das Restaurant für private Veranstaltungen gemietet werden und wird zur Bühne großer Abendessen wie zur Zeit des Sonnenkönigs. Wir bieten den Besuchern also an ein und demselben historischen Ort zwei unterschiedliche Arten, die französische Küche zu erleben.
In welchem Rahmen findet ein Abendessen im Ore statt?
Von der Speisekarte über die Kleidung des Personals bis hin zur Raum- und Tischdekoration trägt alles dazu bei, ein Abendessen in den Salons von Ducasse au château de Versailles zu einem außergewöhnlichen Erlebnis zu machen. In den Sälen aus dem 17. Jahrhundert mit den wundervollen Proportionen, den in der Farbe Gris Taupe gestrichenen getäfelten Wänden, den Kaminen und Spiegeln werden die Speisen serviert, die man in den königlichen „Menus de Choisy“ aus dem 18. Jahrhundert findet. Meine Aufgabe besteht darin, sie zeitgenössisch zu interpretieren. Wie Alain Ducasse sagt: „Sich inspirieren lassen, ohne zu kopieren. Heraufbeschwören, nicht reproduzieren.“
Wie schlägt sich dies in der Speisekarte nieder? Findet man auf ihr Gerichte und Aromen aus der Zeit des Sonnenkönigs?
Wir haben gründlich recherchiert, um Gerichte zu erarbeiten, die dem Geist der Küche des 18. Jahrhunderts entsprechen und gleichzeitig unseren Zeitgenossen schmecken. Auf unserer Speisekarte findet man ausschließlich Erzeugnisse, mit denen auch damals gekocht wurde. Es wurden Austern serviert; sie waren aber praktisch die einzigen Schalentiere. Flussfische wie Karpfen, Forelle, Barsch, Hecht und Aal waren ein fester Bestandteile der Menüs. Es wurde viel Kalbfleisch zubereitet, Lammfleisch hingegen wird nicht erwähnt. Das Gleiche gilt für das Gemüse: Unsere Rezepte enthalten Blumenkohl, Kardonen, Gartenbohnen, Artischocken und Erbsen, aber keine Tomaten oder Zucchini, die zwar schon bekannt waren, sich aber erst später wirklich durchsetzten.
Speist man in den prunkvollen Sälen des Schlosses wie in jedem anderen Restaurant oder gibt es Rituale, eine spezielle Zeremonie?
Auf den Tischen stehen prachtvolle Objekte, die zu den schönsten Realisationen des Kunstgewerbes des 18. Jahrhunderts zählen. Das Geschirr kommt aus der ehemaligen königlichen Manufaktur in Limoges, die heute Teil der Maison Bernardaud ist. Sie hat für das Restaurant drei historische Geschirrservices neu aufgelegt. Die Zeremonie hat den Prunk früherer Zeiten und wurde gleichzeitig aktualisiert. Manche Rituale wurden beibehalten, wie das Anbieten einer feuchten Serviette, um sich vor dem Essen die Hände zu reinigen. Unser Restaurant bietet einen „Service à la française“, was bedeutet, dass bei jedem Gang mehrere unterschiedliche Gerichte gleichzeitig auf den Tisch gestellt werden. Wir haben auch die Struktur des Menüs beachtet, die sich an der Speisenfolge des 18. Jahrhunderts anlehnt, wie sie beispielsweise im berühmten Werk „Le Cuisinier royal et bourgeois“ (1693) von François Massialot beschrieben ist. Die zu Beginn jedes Banketts servierte Oille war ein Eintopf mit Fleisch. Unsere Version ist leichter: Sie enthält nur Gemüse.
Von Lisa Azorin
Journalistin, Redakteurin